Zusammenfassung: Cannabis Legalisierung in Deutschland

Falk Altenhöfer
4 min readNov 20, 2021

Nicht bei allen Themen sind sie sich einig, doch bei der Legalisierung von Cannabis herrscht Konsens zwischen den Ampel-Parteien. Jetzt kamen erste Einzelheiten aus dem Entwurf eines Ergebnispapiers der Koalitions-Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege in die Öffentlichkeit: „Wir führen den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein“, sollen Verhandler von SPD, Grünen und FDP nach Informationen des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) festgehalten haben.

Die Entscheidung habe die Koalitions-Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege getroffen: “Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus. Bei der Alkohol- und Nikotinprävention setzen wir auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.”

Nach vier Jahren solle das entsprechende Gesetz dem Bericht zufolge mit Blick auf gesellschaftliche Auswirkungen evaluiert werden. Zudem wollen die möglichen Koalitionspartner Modelle Drugchecking-Maßnahmen einführen, damit Konsumierende illegal erworbene Drogen auf ihre chemische Zusammensetzung überprüfen können und, falls erforderlich, gewarnt werden.

Entsprechend groß war die Euphorie in der Cannabisindustrie und bei Aktivisten. Sein Lebensziel sei fast erreicht, twittert Jugendrichter Andreas Müller, der seit Jahren für die Legalsierung kämpft. “Freiheit und Gerechtigkeit siegen. Hurrar.”

Allerdings rufen einige Stimmen auch zur Besonnenheit auf: “Die neue Regierung muss noch bestätigt werden, dann muss sie einen neuen Gesetzesentwurf zur Legalisierung ausarbeiten oder einen gescheiterten Gesetzesentwurf aus den vergangenen Jahren überarbeiten und diesen Gesetzesentwurf genehmigen lassen”, mahnt Alfredo Pascual, der beim VC Seed Innovations Cannabis-Firmen analysiert, in einem Linkedin-Kommentar. Abhängig vom Gesetzestext sei nach einer Verabschiedung durch den Bundestag gegebenenfalls noch die Zustimmung des Bundesrats erforderlich — der wiederum, so Pascual, abhängig von den Ergebnissen zukünftiger Kommunalwahlen, weitestgehend von den Konservativen kontrolliert werde. Gerade um den Post von Alfredo Pascual ist eine rege Diskussion um die Rolle des Bundesrats entbrannt. Finn Age Hänsel merkt an, dass sich in jedem einzelnen Koalitionsvertrag der Länder ein Passus finde, nach dem ein Land, das von einer Bundespartei — in dem Fall also SPD, FDP oder Grüne — mitregiert werde, nicht gegen Gesetzesvorhaben des Bundes stimmen könne und sich deshalb der Stimme enthalte. “In aller Deutlichkeit: Der Bundesrat kann und wird nicht gegen eine bundesweite Legalisierung stimmen”, glaubt Hänsel. Dem entgegnet Pascual, dass ein neutrales Verhalten durch Stimmenthaltung im Bundesrat “im Grunde genommen nicht möglich” sei: “Beschlüsse können nämlich im Bundesrat nach Artikel 52 Absatz 3 des Grundgesetzes nur mit absoluter Mehrheit, bei Verfassungsänderungen sogar nur mit Zweidrittelmehrheit der Gesamtstimmenzahl gefasst werden.” Stimmenthaltung würden sich deshalb wie ein Nein auswirken, berichtet krautinvest.

Rechtsanwalt Lito Michael Schulte verweist in einem weiteren Post zudem auf “die Kündigungsfrist der Single Convention, die frühestens Januar 2023 zu einer Legalisierung führen wird, sollte Deutschland geltenden Völkerrecht einhalten wollen.”

Zusammenfassend kann man sagen das Unternehmen gut beraten sind, bei aller Vorfreude auf diesen womöglich historischen Moment weiter die Ruhe zu bewahren und vor allem den Koalitionsvertrag abzuwarten. Denn noch ist nicht klar kommuniziert wie die Parteien Fachgeschäfte definieren, wie die Lizenzvergabe für Verkaufsstätten aussieht und wer produzieren darf.

Die Schweiz ist bei der möglichen Legalisierung von Cannabis schon einen Schritt weiter als Deutschland. Vor einem Jahr wurde das Betäubungsmittelgesetz angepasst. Nun beginnen 2022 in mehreren Großstädten Pilotprojekte, bei denen Cannabis zu Genusszwecken verkauft wird. Parallel will das Parlament das Verbot von Cannabis aufheben und arbeitet daran, Anbau, Handel und Konsum neu zu regeln.

Drogenpolitik wird nicht nur liberaler, sondern endlich auch frei von Ideologie.

Man mag es gut finden oder nicht: Drogen werden konsumiert. Egal ob Alkohol, Nikotin, Kokain — oder eben Cannabis. Rauschmittel waren schon immer gesellschaftliche Realität — und sie werden es auch bleiben. Egal ob der Staat mal die eine, mal die andere Substanz für legal oder illegal erklärt.

Dass die Ampel-Koalition beim Freizeit-Konsum von Cannabis nun die Realitäten anerkennen und die Konsumenten entkriminalisieren will, ist deshalb ein großer Fortschritt. Hin zu einer ideologiefreieren Drogenpolitik. Aus drei Gründen:

Allen voran aus der Perspektive der Verbraucher: Menschen, die heute den gelegentlichen Joint, dem Feierabend-Bier vorziehen, sind anders als die Alkohol-Konsumenten auf Stoff von der Straße angewiesen. Mit entsprechenden Nebenwirkungen: oftmals rauchen die Konsumenten heute nicht nur Gras, sondern auch giftige Zusatz- und Streckstoffe. Oder billigen Industriehanf, der mit synthetischem Cannabis potenziert wird.

Das alles stellt ein Gesundheitsrisiko dar, das das von reinem Cannabis um ein Vielfaches übersteigt. Genau diese Zusatzstoffe machen Experten für drogeninduzierte für psychische Probleme verantwortlich — gerade bei jungen Cannabis-Konsumenten.

Dieses Problem wird schlagartig gelöst, wenn der Staat die Abgabe von Cannabis kontrolliert. Konsumenten wissen dann, was sie rauchen.

Die künftige Ampelkoalition will aber nicht nur Legalisieren, sie will auch über die Gefahren von Cannabiskonsum aufklären — und auch das ist gut und richtig so. Denn natürlich kann der übermäßige Konsum von Cannabis gerade bei jungen Menschen zu Problemen führen. Genau wie der übermäßige Alkoholkonsum auch.

Und daraus ergibt sich ein zweiter Punkt im Umgang mit Rauschmitteln: Das Messen mit zweierlei Maß. Was die gesundheitlichen Folgen angeht, ist Alkohol die härteste Droge: 74.000 Menschen, die in Deutschland Jahr für Jahr an den Folgen von Alkohol sterben, stehen 1.500 Opfer anderer Substanzen gegenüber — und genau null-Cannabis Toten. Ausgerechnet Cannabiskonsumenten zu kriminalisieren — und Staatsanwaltschaften mit der Verfolgung von Hundertausenden Gelegenheitskiffern zu beschäftigen — ist daher absurd.

Der Staat könnte durch eine Legalisierung drittens der Organisierten Kriminalität einen großen Teil ihres Geschäfts wegnehmen. Statt Konsumenten zu kriminalisieren und Drogenbossen Milliardenumsätze zu überlassen, kann der Fiskus künftig von einer Cannabissteuer profitieren — und Jahr für Jahr hunderte Millionen einnehmen. Ein finanzieller Nebeneffekt einer Drogenpolitik, die nicht nur liberaler ist, sondern endlich auch frei von Ideologie.

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Falk Altenhöfer

I write for Product-Makers in the Cannabis Industry and beyond. I like society and tech. I write in german.